FAQ Entwicklung
Im April 2011 wurde von der Gemeinnützigen Umwelthaus GmbH Kelsterbach (UNH) eine umfangreiche Lärmwirkungsstudie in Auftrag gegeben, die den Namen NORAH-Studie erhielt. Die Kurzbezeichnung NORAH steht für „NOise-RelatedAnnoyance, cognition, and Health“ (deutsch etwa „Zusammenhänge zwischen Lärm, Belästigung, Kognition und Gesundheit“). Das Ziel dieser Studie besteht darin, eine möglichst objektive und wissenschaftlich abgesicherte Beschreibung der Auswirkungen des Lärms vom Flug-, Schienen- und Straßenverkehr im Rhein-Main-Gebiet auf die betroffene Wohnbevölkerung zu erhalten.
Die NORAH-Studie umfasst drei Teilbereiche (Module) mit jeweils unterschiedlichen Fragestellungen, welche von einem aus Fachexperten der Medizin, Psychologie, Akustik und Sozialwissenschaften zusammengesetzten Konsortium bearbeitet werden. Im Modul 1 „Lebensqualität“ geht es um die Auswirkungen von Verkehrslärm auf die Lebensqualität der Bevölkerung. Das Modul 2 „Gesundheit“ befasst sich mit etwaigen gesundheitlichen Risiken durch dauerhafte Lärmbelastung. Im Modul 3 „Entwicklung“ werden mögliche Auswirkungen von Fluglärm auf die geistige Entwicklung und die Lebensqualität bei Grundschulkindern im Rhein-Main-Gebiet untersucht. Auf dieses Modul beziehen sich die nachfolgenden Informationen.
Die NORAH-Entwicklungsstudie wird im Auftrag des UNH und des Hessischen Kultusministeriums von Wissenschaftlern der Technischen Universität Kaiserslautern (apl. Prof. Dr. Maria Klatte) und des Hörzentrums Oldenburg (Dr. Markus Meis) durchgeführt.
Studien, die seit den 1990er Jahren an anderen europäischen Flughafenstandorten durchgeführt wurden, deuten darauf hin, dass sich eine dauerhafte Belastung durch Fluglärm ungünstig auf die geistige Entwicklung von Kindern auswirken kann. In diesen Studien zeigten sich übereinstimmend schlechtere Leseleistungen bei fluglärmexponierten Kindern; teilweise wurden auch negative Wirkungen auf Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsleistungen berichtet. Im Rahmen der Lärmwirkungsstudie NORAH soll dies erstmals an einer größeren Stichprobe von Kindern mit deutscher Unterrichtssprache untersucht werden. Die Studie soll wissenschaftlich fundierte Aussagen über etwaige Lärmwirkungen auf Kinder ermöglichen und eine Informationsgrundlage für die Ableitung effizienter Maßnahmen zur Verhinderung bzw. Minimierung solcher Wirkungen liefern.
Es werden Lese-, Aufmerksamkeits- und Gedächtnisleistungen von Kindern untersucht, die sich hinsichtlich der Fluglärmbelastung unterscheiden. Weiterhin wurden sprachliche Fähigkeiten erfasst, die für den Leseerwerb sehr wichtig sind und in die statistischen Analysen mitaufgenommen werden. Verschiedene Studien deuten darauf hin, dass die negativen Wirkungen von Lärm auf das Lesenlernen durch Wirkungen auf die dem Lesen zugrunde liegenden sprachlichen Fähigkeiten zustande kommen. Die genauere Kenntnis dieser Mechanismen ermöglicht die Planung konkreter Maßnahmen zur Prävention bzw. Minimierung der Lärmwirkungen.
Neben den Testaufgaben wurden Befragungen der Kinder zur umwelt- und gesundheitsbezogenen Lebensqualität und Belästigung durchgeführt. Familiäre und unterrichtsbezogene Einflussfaktoren wurden durch Befragungen von Eltern und Lehrkräften der Kinder erfasst.
An der Studie nahmen etwa 1.200 Grundschulkinder der zweiten Klassenstufe teil. Die Zusammenstellung der Stichprobe basiert auf einer Kartierung aller Grundschulen im Untersuchungsgebiet nach tagesbezogenen Fluglärmpegeln. Es wurden Grundschulen ausgewählt, die sich hinsichtlich der Fluglärmbelastung unterscheiden, die aber bezüglich anderer Faktoren (z.B. Größe und Zusammensetzung der Klassen) möglichst gut vergleichbar sind und in vielen verschiedenen Gebieten rund um den Flughafen herum liegen. Da deutschsprachige Testaufgaben eingesetzt wurden, wurden bei der Zusammenstellung der Schulen auch die Deutschkenntnisse der Kinder berücksichtigt. Um die für die Schulauswahl notwendigen Informationen über diese nicht-lärmbezogenen Faktoren zu erhalten, wurde im August 2011 eine schriftliche Befragung aller Grundschulen im Untersuchungsgebiet durchgeführt.
Die Untersuchung wurde im Zeitraum April bis Juni 2012 durch qualifizierte und geschulte Untersuchungsteams direkt in den Grundschulen durchgeführt. Für die gesamte Erhebung wurden pro Schulklasse zwei Doppelstunden benötigt. Aufgrund der abwechslungsreichen Aufgaben und des Wechsels zwischen Testaufgaben und Befragungen stellte dies keine Überforderung der Kinder dar. Den Kindern bereitete die Teilnahme an dieser Studie viel Freude.
Im Rahmen der Untersuchung wurden auch bau- und raumakustische Merkmale der Klassenräume (Schalldämmung der Fenster, Nachhallzeit) erfasst, da diese Faktoren die Lärmbelastung während des Unterrichts maßgeblich beeinflussen. Die hierfür notwendigen Messungen waren schnell durchführbar und erfolgten nach terminlicher Absprache in den Nachmittagsstunden.
Seit der Datenerhebung wurden die Daten der Schüler/innen, Eltern und Lehrer/innen eingegeben und der Datensatz für die statistischen Auswertungen aufbereitet. Momentan werden die statistischen Auswertungen durchgeführt.
Wir danken allen Schulen, Lehrkräften, Eltern und Kindern für die Unterstützung und Mitwirkung an dieser Studie.
Neben den tagesbezogenen Fluglärmpegeln an den Schulstandorten werden die Flug-, Schienen- und Straßenlärmpegel an den Wohnadressen der Kinder erfasst. Hierbei werden auch die Nachtpegel einbezogen. So kann geprüft werden, ob bzw. inwieweit etwaige Lärmwirkungen auf die geistige Leistungsfähigkeit der Kinder durch lärmbedingte Störungen des Nachtschlafs vermittelt werden.
Kontakt:
apl. Prof. Dr. Maria Klatte
Technische Universität Kaiserslautern
Fachgebiet Psychologie der Frühförderung
Erwin-Schrödinger-Straße 57
67663 Kaiserslautern
Tel.: 0631 205 5033 (Sekr.)
Email: klatte@rhrk.uni-kl.de
Literatur:
Klatte,M.; Hellbrück, J.; Seidler, J. &
Leistner, P. (2010). Effects of classroom
Acoustics on performance and well-being in
elementary school children: A field study.
Environment & Behavior, 42, 659-69.
Die Festlegung des Pegelbereichs der in der NORAH-Kinderstudie einbezogenen Schulen (Dauerschallpegel am Schulvormittag zwischen 39 und 59 dB(A)) erfolgte aus folgendem Grund:
• Messstationen am Frankfurter Flughafen zeigen, dass in ruhigen Situationen, wenn gar keine Flugverkehrsgeräusche auftreten, immer noch ein Hintergrundgeräuschpegel von 35 bis 40 dB(A) feststellbar ist (vgl. NORAH-Akustikbericht für das Kindermodul: http://www.norah-studie.de/publikationen.epl). Dieser Pegel kann durch Straßenverkehrsgeräusche, Geräusche aus der Nachbarschaft, von Industrieanlagen oder von anderen Quellen herrühren. Bei Fluglärm-Mittelungspegeln unterhalb des niedrigsten Hintergrundgeräuschpegels ist dann nicht mehr entscheidbar, welche Quelle der akustischen Belastung die festgestellten Wirkungen erzeugt hat. Die Entscheidbarkeit über die Lärmquelle ist aber eine wichtige Voraussetzung für die Lärmwirkungsforschung. Aus diesem Grund wurden 40 dB Fluglärm-Dauerschallpegel als untere Grenze für die Eingrenzung des Untersuchungsgebiets (auf Basis von DES 2007) festgelegt. Nach der Stichprobenziehung, die anhand der Pegel von 2007 erfolgte, hat sich in adressgenauen Nachberechnungen für das Jahr 2012 in einigen bereits ausgewählten Untersuchungsorten ein Minimum von 39 dB ergeben.
Der Umstand, dass keine Schulen mit einer Fluglärmbelastung von weniger als 39 dB einbezogen wurden, führt nicht zu einer Unterschätzung der Fluglärmwirkungen. Im Unterschied zu Studien, in denen der Einfluss eines Risikofaktors (z.B. Fluglärmbelastung) auf das Vorliegen bzw. Nicht-Vorliegen von Erkrankungen (z.B. Bluthochdruck) geprüft wird, wurden in der NORAH-Studie sowohl die Leseleistungen der Kinder als auch die Fluglärmpegel als kontinuierliche Variablen behandelt. Um der hierarchischen Datenstruktur (Kinder in Schulklassen) Rechnung zu tragen, wurde der Einfluss des Fluglärms auf die Leistungen anhand von Mehrebenen-Regressionsanalysen geprüft, wobei individuelle und schulklassenbezogene Einflussfaktoren auf die Leistungen kontrolliert wurden. Mehrebenen-Regressionsanalysen wurden in vielen Bildungsstudien und auch in der bekannten RANCH-Studie zu Fluglärmwirkungen auf Kinder eingesetzt. Bei diesem Verfahren ist keine „unbelastete“ Kontrollgruppe erforderlich, es muss lediglich ein breiter Bereich der Fluglärmbelastung abgedeckt werden. Dies ist mit dem Pegelbereich zwischen 39 und 59 dB erfolgt.
• In der NORAH-Kinderstudie zeigte sich ein linearer Zusammenhang zwischen den Fluglärmpegeln und verringerten Leseleistungen. Die Annahme, dass bei Einbeziehung von noch niedrigeren Pegeln der Effekt des Fluglärms stärker ausgefallen wären, impliziert, dass im Bereich unter 39 dB ein stärkerer negativer Zusammenhang zwischen Pegel und Leseleistung besteht als im Bereich über 39 dB. Angesichts der Tatsache, dass die Kinder, Eltern und Lehrkräfte aus den Schulen mit Fluglärmpegeln um 40 dB die Störungen durch Fluglärm als nicht vorhanden bis gering beurteilten, kann dies ausgeschlossen werden.
• Die Ergebnisse der RANCH-Studie bestätigen, dass die Stärke des Zusammenhangs zwischen Fluglärmpegel und verringerten Leseleistungen nicht von der Wahl des niedrigsten Pegels abhängt (vgl. Clark et al., 2006). Es zeigten sich für die niederländische und spanische Substichproben die gleichen linearen Anstiege (Zusammenhangsmaße; β = -0,006), obwohl sich die untersuchten Pegelbereiche deutlich unterschieden (niederländische Substichprobe: 41-68 dB(A); spanische Substichprobe: 30-77 dB(A)).
• Im Bereich unter 40 dB sinkt die Zuverlässigkeit (Reliabilität) der berechneten Pegelwerte gerade an einem verkehrsreichen Flughafen wie Frankfurt erheblich ab, was einen direkten Effekt auf die inferenzstatistischen Berechnungen haben kann: Mit Abnahme der Reliabilität einzelner Messvariablen (hier Fluglärm) nimmt die unsystematische Varianz (Fehlervarianz) in den Daten zu. Da inferenzstatistische Analysen mögliche Effekte immer an der Fehlervarianz relativieren, werden mit Abnahme der Reliabilität nur noch größere Effekte als statistisch bedeutsam identifiziert. Der Einbezug niedrigerer Pegel würde daher eher zu einer Unterschätzung möglicher Effekte führen.
Literatur:
Clark, C.; Martin, R.; van Kempen, E.; Alfred, T. … & Stansfeld, S. (2006). Exposure-Effect Relations between Aircraft and Road Traffic Noise Exposure at School and Reading Comprehension. The RANCH Project. American Journal of Epidemiology, 163, 27-37.